Die Thur muss vernetzt sein
Die Thur: das verbindende Element
Die Thur verbindet fünf Kantone. Sie verbindet verschiedene Landschaften, von alpinen über voralpine Landschaften bis zu den Flussebenen im Thurgau und vor der Mündung in den Rhein. Sie ist für viele Arten ein wichtiger Wander- und Ausbreitungskorridor. Fische, wie einst der Lachs, steigen aus den Unterläufen auf, um in den Oberläufen zu laichen. Die unterschiedlichen topographischen Bedingungen führen dazu, dass die Thur über ihre Länge vielfältige Formen annimmt und unterschiedliche Lebensräume ausbildet.
Längsvernetzung ist Voraussetzung
Die grosse Lebensraumvielfalt der Thur oder von Fliessgewässerökosystemen generell kommt aber nur durch eine entsprechende Dynamik zustande. Flussauen sind unbedingt darauf angewiesen, dass sie in mehr oder weniger regelmässigen Abständen von Hochwassern überflutet werden. Diese Überschwemmungen wirken jeweils wie eine Art «reset»- Knopf: Sie verhindern das Zuwachsen der Aue, bilden neue Kanäle, bringen neues Geschiebe und Totholz und schaffen so wieder neue Lebensräume. Voraussetzung dafür ist eine funktionierende Längsvernetzung. Nur wenn genügend Wasser und Geschiebe nachkommt, kann diese Dynamik stattfinden. Ausserdem ist die Durchgängigkeit der Gewässer für die Wasserlebewesen absolut essentiell, z.B. auf der Suche nach geeigneter Nahrung, Laichplätzen oder Fortpflanzungspartnern.
Eingeschränkte Durchgängigkeit
Leider sind diese Wanderbewegungen gerade für ans Wasser gebundene Organismen in der Thur oft nur bedingt möglich. So befinden sich zwischen Schwarzenbach und der Mündung rund 50 künstliche Hindernisse in der Thur. Darunter etliche Schwellen und Rampen (von bis zu 140 cm Höhe) und auch sechs Kraftwerkswehre. Einige dieser Barrieren sind bis heute nicht fischgängig und unterbrechen die Vernetzung des Flusslebensraumes. Auch in den Seitengewässern ist die Durchgängigkeit leider oft nicht gegeben, sei es durch weitere Wasserkraftanlagen (wie an der Sitter oder der Murg) oder durch künstliche Abstürze oder Eindolungen bei der Einmündung. Diese Bauwerke müssen dringend saniert und die Vernetzung muss flussauf- und flussabwärts wiederhergestellt werden; entweder durch den Einbau von Fischpassagen oder durch den Rückbau der Bauwerke.
Unsere Fische müssen wandern
Barrieren in Fliessgewässern verhindern die Entwicklung von intakten Lebensräumen, sie vermindern den Geschiebetransport und v.a. unterbrechen sie die für viele Pflanzen- und Tierarten so wichtige Längsvernetzung der Gewässer. Darunter leiden insbesondere die Fische: 58% aller Schweizer Fischarten stehen auf der Roten Liste, acht Arten sind bereits ausgestorben. Darunter die majestätischen Wanderfische Lachs, Maifisch und Stör. Sie sind, wie alle Wanderfische, darauf angewiesen, die Flüsse und Bäche hinauf- oder hinabwandern zu können, zu ihren Laichgebieten, um sich dort fortzupflanzen. Gerade an der Thur, wo früher der Lachs heimisch war, gilt es die noch vorhandenen Hindernisse entweder fischgängig zu gestalten oder wo möglich ganz zu entfernen. Denn wenn die Rückkehr des Lachses in die Schweiz tatsächlich klappt – und danach schaut es momentan aus – dann sollen die Thur und ihre Zuflüsse bereit sein, sodass er sich sein ehemaliges Gebiet (bis Bischofszell ist es dokumentiert) zurückerobern und für eine neue Generation von Thur-Lachsen sorgen kann.
Quervernetzung
In einem intakten Auensystem sind die einzelnen aquatischen, semiaquatischen und terrestrischen Lebensräume auch seitlich eng miteinander vernetzt und bilden ein vielfältiges Ökosystem. Durch die Schwankungen des Wasserstands bilden sich fliessende Übergänge. Viele Lebewesen, zum Beispiel Amphibien, brauchen das enge Nebeneinander von verschiedenen Lebensräumen, zwischen welchen sie je nach Jahreszeit oder Lebensphase wechseln können.
Trittsteine sind wichtig
Eine funktionierende Vernetzung ist nicht nur für die Fische wichtig, auch für alle anderen Wasserlebewesen ist sie essentiell: sei es um an geeignete Rückzugsorte zu gelangen, Nahrung zu finden, sich fortzupflanzen oder neue Lebensräume zu erschliessen. Der Lachs stieg früher mindestens bis Bischofszell auf - darum gilt der ganze Unterlauf der Thur als Wiederbesiedlungsgebiet für diesen Fisch (aus: Dönni, W., Spalinger, L., Knutti, A. 2016: Die Rückkehr des Lachses in der Schweiz – Potential und Perspektiven. Auslegeordnung. Studie im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt, 2016). Zu kleine, isolierte Populationen sind langfristig nicht überlebensfähig. Dabei dürfen ökologisch intakte Gewässerabschnitte nicht zu weit voneinander entfernt liegen, damit ein gewisser Austausch untereinander funktionieren kann. Man spricht von Trittsteinen entlang eines Korridors. Da durch die Besiedlung und die intensive landwirtschaftliche Nutzung ein Grossteil der Fläche für viele Tiere und Pflanzen mehr oder weniger lebensfeindlich geworden ist, werden diese Trittsteine notwendig, damit sich Individuen trotzdem austauschen können. In regelmässigen Abständen sollen Bereiche mit Biotopfunktion erhalten oder neu geschaffen werden. Die Trittsteine sollen dabei nicht mehr als 2 km auseinander liegen.
Übergangszonen schaffen
Damit dieser Austausch funktioniert, sind also einerseits geeignete Flächen zu erhalten bzw. neu zu schaffen, andererseits muss dafür gesorgt werden, dass die Durchlässigkeit der umgebenden Landschaft gegeben ist und diese Flächen auch erreicht werden können.
Leider sind die Ufer der Thur im heutigen Zustand beinahe durchgehend hart verbaut und die Quervernetzung mit dem Umland deshalb nicht gegeben. Die steilen, verbauten Ufer, die fehlende Ufervegetation und die teilweise intensive Nutzung der Vorländer unterbinden die Uferdynamik und verhindern die Entwicklung einer amphibischen Übergangszone mit Kraut- und Röhrichtsaum oder verschiedenen Gehölzen. Ausserdem behindern sie den Wildwechsel.