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Unsere Gewässer brauchen Platz

Gewässerräume: wichtig für Mensch und Natur

Eigentlich könnte es einfacher nicht sein: Wären die Gewässerräume gesamtschweizerisch wie in der Gewässerschutzverordnung bestimmt auf Ende 2018 festgelegt, wären die Weichen gestellt, um andere Bestimmungen des Gewässerschutzes realisieren zu können. Der Stand der aktuellen Umsetzung malt jedoch ein düsteres Bild. Dabei bieten ökologisch festgelegte, breite Gewässerräume zahlreiche Vorteile für Mensch und Umwelt. Werden sie nicht zeitnah umgesetzt, müssen wir uns die Frage stellen, ob wir und vor allem künftige Generationen mit den negativen Konsequenzen leben können.

Die Sense hat Platz um sich umzulagern und darf auch mal die ganze Fläche benetzen ohne gleich Schaden anzurichten. (Foto: Mario – stock.adobe.com)

Weshalb sind Gewässerräume wichtig?

Naturnahe und grosszügig gestaltete Gewässerräume haben klare ökologische Vorteile. Durch die Extensivierung der Flächen nimmt die Belastung durch Pestizide und Nährstoffe ab. Die Wasserqualität verbessert sich. Die Organismen sind weniger Stress ausgesetzt, was der Biodiversität guttut. Damit ein Gewässer überhaupt seine natürlichen Funktionen wahrnehmen kann, müssen Land und Gewässer vernetzt sein (Altermatt F. 2020). Dies ist nur möglich, wenn unbebaute natürliche Uferbereiche vorhanden sind. Es reicht nicht, nur das Gerinne zu revitalisieren.

Auch für den Menschen lohnt es sich, naturnahe Gewässerräume zu fordern. Sie bieten Naherholungsräume im Siedlungsgebiet und sorgen für kühle Köpfe an heissen Sommertagen. Eine verbesserte Wasserqualität bedeutet ausserdem eine Verbesserung der Trinkwasserqualität. Durch Extensivierung und strukturreiche Gestaltung der Ufer werden Insekten gefördert, welche durch Bestäubung einen Teil der landwirtschaftlichen Erzeugnisse sichern. Gemeinsam mit Revitalisierungen sorgen grosse Gewässerräume auch für höhere Fischbestände. Das freut Fischer und Konsumenten. Grosszügige Gewässerräume, welche frei von Infrastrukturen sind, bieten zudem Rückhalteflächen und somit Sicherheit bei Hochwasser. All diese Funktionen sind insbesondere auch in der Zukunft mit häufigeren Extremereignissen von hoher Relevanz.

Die Idee hinter den Gewässerräumen und deren Einführung als Kompromiss ins revidierte Gewässerschutzgesetz sind unbestritten eine gute Sache. Als diese Bestimmung eingeführt wurde, hatte jedoch niemand mit den heute zahlreich vorhandenen Kontroversen in der Umsetzung gerechnet. Fast 10 Jahre nach Einführung wurde nach wie vor keine schweizweite, nicht mal eine kantonale eigentümerverbindliche Festlegung vollzogen. Die Gewässerräume wurden zwischenzeitlich mittels zwei Verordnungsänderungen sogar weiter geschwächt.

Gesetzlicher Auftrag: Gewässerraum

Regelungsbereich: Für Stillgewässer ist grundsätzlich ein Gewässerraum von 15 Metern gemessen ab der Uferlinie festzulegen. Die Bemessung des Gewässerraums für Fliessgewässer erfolgt in Abhängigkeit der ökologischen Qualität des Gewässerabschnitts (Schutzkategorie) sowie der Gerinnesohlenbreite. Es besteht zudem die Pflicht zur Freihaltung des Gewässerraums mit Ausnahme von Anlagen im öffentlichen Interesse (bspw. Fuss- und Radwege, Brücken) sowie ein Verbot der Verwendung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln innerhalb des Gewässerraums. Solange noch kein Gewässerraum ausgeschieden wurde, gelten im Interesse der Freihaltung Übergangsbestimmungen.

Umfang: Sämtliche Still- und Fliessgewässer mit wenigen Ausnahmen (bspw. eingedolte oder künstlich angelegte Gewässer)

Zuständigkeit: Die Festlegung des Gewässerraums ist Aufgabe der Kantone. Diese haben ausserdem dafür zu sorgen, dass der Gewässerraum bei der Richt- und Nutzungsplanung berücksichtigt und die Vorgaben zu dessen Gestaltung und
Bewirtschaftung eingehalten werden.

Fristen: Die Kantone mussten die Gewässerräume bis zum 31. Dezember 2018 festlegen.

Gesetzesgrundlagen: Art. 36a GSchG; Art. 41 a-c, Art. 62 Übergangsbestimmung GSchV

Planungshilfen des Bundes: BPUK, LDK, BAFU, ARE, BLW (Hrsg.) 2019: Gewässerraum. Modulare Arbeitshilfe zur Festlegung und Nutzung
des Gewässerraums in der Schweiz.

Was geschieht ohne Gewässerräume?

Werden die Gewässerräume nicht festgelegt, so wirkt sich das direkt auch auf andere Ziele des Gewässerschutzgesetztes aus. Das naheliegendste Beispiel: Die Umsetzung der Revitalisierungsplanungen. Ohne ausgeschiedenen Gewässerraum kann das Land nicht gesichert, extensiviert und vor Verbauungen freigehalten werden. Eine naturnahe Revitalisierung, welche eine eigendynamische Entwicklung des Gewässers zulässt und ihm Raum gibt, wird nahezu verunmöglicht. Können wir die Revitalisierungen und die oft damit verknüpften Hochwasserschutzmassnahmen nur minimal gestalten, sind unsere Gewässer im Zuge der immer häufiger vorkommenden Starkereignisse nicht dafür gewappnet, Hochwasserspitzen zu schlucken. Die Schäden gehen dann nicht nur zulasten der Natur, sondern auch des Menschen.

Ausserdem können auch die Ansprüche an die Wasserqualität mittels fehlender Ausscheidung nicht erfüllt werden. Wollen wir weiterhin sauberes Trinkwasser für uns und zukünftige Generationen, so müssen wir heute die Gewässerräume festzulegen und extensivieren.

Der kürzlich erschienene Living Planet Report (WWF 2020) des WWF zeigt, dass sich die Situation der Artenvielfalt in Gewässern und Feuchtgebieten weiterhin verschlechtert. Sinkt die Biodiversität, können zahlreiche Dienstleistungen, welche intakte Ökosysteme und deren Organismen für uns erfüllen, nicht mehr ausreichend bis gar nicht gemacht werden. Es ist somit dringend an der Zeit, die Gewässerräume festzulegen, um den Negativtrend zu bremsen und umzukehren.

Die Weissemme im Kanton Luzern, umgeben von Landwirtschaft. Ein monotones Bild. Sind dies die Gewässer, die wir zukünftigen Generationen hinterlassen wollen? (Foto: Marc Germann/WWF Schweiz)

Was wird benötigt, um die Gewässerräume konsequent umsetzen zu können?

Gewässerräume können als Biodiversitätsförderfläche angemeldet werden. Dennoch leistet die Landwirtschaft Widerstand. Auch Eigentümer, welche ihr Land nicht mehr bebauen können, wehren sich. Zudem ist die Rechtsprechung in Bezug auf die Gewässerräume immer komplexer geworden und es ist nicht einfach, auf dem neuesten Stand zu sein.

Die Arbeitshilfe des Bundes, welche vor über einem Jahr publiziert wurde, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Einige offenen Fragen der Kantone wurden beantwortet. Jedoch wurde die Festlegung der Gewässerräume oft vom Kanton an die Gemeinden delegiert, wo es meist an detailliertem Wissen über die Rechtsprechung und an personellen Ressourcen fehlt sowie Partikularinteressen eine hohe Rolle spielen. Es braucht fachliche Unterstützung, aber auch Sensibilisierung, um den Mehrwert naturnaher und grosser Gewässerräume den Menschen näher zu bringen. Man benötigt viel Gespür, um herauszufinden, wo die Bedenken bei Landwirtschaft und Eigentümer liegen und wie man diese mittels Kommunikation von positiven Beispielen oder zusätzlichen Anreizen beseitigen kann.

Schade, dass im Rahmen der Gewässerraumbestimmungen nicht mehr Anreize, oder auch Sanktionen geschaffen wurden, um die Umsetzung zu beschleunigen. Denn trotz Kompromissvorschlag stellen die Gewässerräume ein zentrales Element zur Umsetzung des Gewässerschutzes in der Schweiz dar.

(Artikel übernommen aus: aqua viva #3/2020 - Autorin: Tamara Diethelm, WWF Schweiz)