Die Thur braucht auch bei Weinfelden mehr Platz
Die in der Interessengemeinschaft „Lebendige Thur“ zusammengeschlossenen Umwelt- und Fischereiverbände verlangen eine fachlich und rechtlich korrekte Festlegung des nötigen Raums für die Thur zwischen Bürglen und Weinfelden. Sie erheben gegen die von den Gemeinden Bürglen, Bussnang und Weinfelden vorgeschlagenen Bau- und Gewässerraumlinienpläne Einsprache.
Das Land zwischen den Dämmen gehört dem Fluss. Das wurde schon 1979 im Thurrichtprojekt des Kantons Thurgau festgelegt. 1982 hat das Kantonsparlament dieses Konzept angenommen. 40 Jahre später ist es immer noch nicht umgesetzt, obwohl inzwischen auch der Bund im revidierten Gewässerschutzgesetz klare Vorgaben gemacht hat für die Revitalisierung und die Festlegung des Raumbedarfs von Gewässern und entsprechende Projekte finanziell grosszügig unterstützt.
Abflusskanal statt Fluss
Die drei Thur-Gemeinden Weinfelden, Bussnang und Bürglen lehnen diese Vorgaben offensichtlich ab: Auf dem über einen Kilometer langen Abschnitt des „Exerzierplatzes“ bei Weinfelden soll die Thur wie bisher in einem schmalen künstlichen Kanal fliessen, um die dortigen Landwirtschaftsflächen so intensiv wie heute nutzen zu können.
"Das widerspricht dem Gesetz und allen modernen wasserbaulichen Erkenntnissen“,
sagt Gewässerexperte Christian Hossli von Aqua Viva, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Lebendige Thur.
„Ein derart enger Abflusskorridor ist kein lebendiger Fluss und er verhindert, dass die Thur ihre natürlichen Funktionen erfüllen kann. Dazu zählen zum Beispiel die Selbstreinigung des Wassers, die Neubildung von Grundwasser, die Bildung einer natürlichen Strukturvielfalt und Entwicklung von typischen Lebensräumen sowie deren Vernetzung“, zählt Hossli auf.
Zahlreiche vom Aussterben bedrohte Arten sind auf dynamische Auenlebensräume angewiesen. Exakt diese sind entlang der Thur mit der Verbauung zerstört worden und müssen nun gemäss Gesetz, wo immer möglich wiederhergestellt werden.
Zu viele Fehler gemacht
Die Umweltschutzorganisationen begründen in ihrer gemeinsamen Einsprache präzise, wie erst eine natürliche Sohlenbreite für die Thur hergeleitet werden und darauf abgestützt der Gewässerraum festgelegt werden soll.
„Bei der Planung dieses Thurabschnitts wurden zu viele Fehler gemacht“,
sagt Toni Kappeler, Präsident von Pro Natura Thurgau und zählt drei davon auf:
"Erstens wurde der knapp 4 km lange Thurlauf zwischen Bürglen und Weinfelden – obwohl vom natürlichen Flusscharakter her einheitlich – willkürlich in zwei Abschnitte unterteilt. Zweitens wurde dann auf dem unteren Abschnitt die natürliche Sohlenbreite, das Grundmass für die Festlegung des Gewässerraums, bewusst viel zu tief veranschlagt, nämlich nur mit 90 statt mit rund 140 Metern. Und drittens wurden keine bereits revitalisierten Referenzstrecken berücksichtigt, die aufzeigen, welche Flussbreite nötig ist."
Diese falschen oder ungenügenden Grundlagen führen dazu, dass der berechnete Gewässerraum viel zu klein ausfällt. Die Verbände stützen sich dabei nicht etwa auf eigene Schätzungen, sondern verwenden anerkannte Methoden, wie sie der Bund sowie die beiden Konferenzen der kantonalen Bau- und Umweltdirektoren (BPUK) und der Landwirtschaftsdirektoren (LDK) empfehlen.
Kein Zurück ins Mittelalter
Den Umweltorganisationen wird oft vorgeworfen, sie wollten eine Sumpflandschaft wiederherstellen, wie im Mittelalter. Das ist nicht so. Aber in den letzten 150 Jahren haben wir unseren Flüssen und Bächen riesige Flächen abgerungen. Die Gewinnung von Ackerland, später auch von Bauland, die Sicherung der Verkehrswege sowie die Wasserkraftnutzung waren die Hauptgründe dafür. Heute wissen wir, dass man zu weit gegangen ist: Die Biodiversität ist eingebrochen, die Schadensummen bei Hochwasser steigen und die eingeengten Gewässer sind nicht in der Lage, die Folgen des Klimawandels abzupuffern. Gewässerschutz- und Wasserbaugesetz verlangen, den Flüssen wenige Prozente dieser Flächen zurückzugeben, wenigsten so viel, dass sie ihre natürlichen Funktionen wieder einigermassen erfüllen können. Im Fall der Thur ist das niemals die ganze Ebene, aber etwas mehr als heute. Nur dann kann „ein Fluss mit Zukunft für Mensch, Natur und Landschaft“ entstehen, wie die fünf Thurkantone und der Bund schon 2001 in der „Säntischarta“ als Ziel gesetzt haben.