Gewässer und Auen - Hoher Nutzen für die Gesellschaft
Intakte und abwechslungsreiche Gewässer und Auen erbringen vielfältige Ökosystemleistungen, die einen hohen gesellschaftlichen Nutzen stiften. Die Sichtbarmachung dieser Leistungen mithilfe anerkannter ökonomischer Methoden kann in Abwägungsprozessen dazu beitragen, die verschiedenen Ansprüche an die Gewässernutzung besser zu berücksichtigen.
Die vielfältigen Nutzungsansprüche an Gewässer und Auenlandschaften in Form von Besiedlung und landwirtschaftlicher Nutzung über Schifffahrt bis hin zur Wasserkraftnutzung haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass diese und daran angrenzende Lebensräume stark beansprucht, verändert und in ihren häufig nicht direkt sichtbaren Funktionen beeinträchtigt wurden. Dies geschah mit grossem technischen und finanziellen Aufwand: Allein in den alten Bundesländern Deutschlands wurden von 1954 bis 1989 wasserwirtschaftliche und kulturbautechnische Massnahmen mit 38,5 Mrd. EUR aus öffentlichen Mitteln gefördert (Schäfer & Kowatsch 2015). Mittlerweile sind in Deutschland aufgrund vielfältiger Veränderungen rund zwei Drittel der Überschwemmungsflächen an Flüssen als solche nicht mehr vorhanden (BMU & BfN 2009). Der damit einhergehende Verlust von Ökosystemleistungen wird zunehmend spürbar und – wenn auch nicht immer bewusst – wahrgenommen. Aber nicht nur die Tragweite von Eingriffen in die Natur gilt es zu erkennen und zu minimieren. Durch sorgfältig durchgeführte Kosten-Nutzen-Analysen von Renaturierungsmassnahmen kann auch der Nutzen, der der Gesellschaft durch solche Massnahmen zugute kommt, monetarisiert und damit die Akzeptanz der Massnahmen erhöht werden.
Die Ökosystemleistungen naturnaher Gewässer und Auen
Die Ökosystemleistungen naturnaher Gewässer und Auen stärker sichtbar zu machen, ist daher eine wichtige Aufgabe. Bei Hochwasserereignissen wird sehr schnell deutlich, wie Auen, die einen Teil der Wassermassen aufnehmen, Schäden an anderer Stelle abpuffern können. Umgekehrt können fehlender Wasserrückhalt durch zu kleine oder vollkommen fehlende Überflutungsgebiete zu massiven Schäden an Gebäuden und Infrastruktureinrichtungen entlang der Gewässer führen. Gerade hier gilt es, diese Ökosystemleistungen zu monetarisieren und damit in ihrer volkswirtschaftlichen Dimension darzustellen. Weniger sichtbar sind Ökosystemleistungen wie zum Beispiel die Minderung der Treibhausgasemissionen durch die Renaturierung von Gewässerlandschaften. Auch die Herausfilterung von Nährstoffen als Beitrag zur Wasserreinhaltung geschieht im Verborgenen. Überdies werden die Möglichkeiten der Erholung und Freizeitgestaltung innerhalb intakter Gewässerlandschaften als selbstverständlich erachtet, ohne diesen einen besonderen oder konkreten Wert beizumessen.
Es braucht eine ökonomische Umweltbewertung
An dieser Stelle setzt die ökonomische Umweltbewertung an, die für Ökosystemleistungen, die in herkömmlichen Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen wenig Beachtung finden, einen konkreten gesellschaftlichen Nutzen ermittelt. Hierfür wurden in den letzten Jahrzehnten geeignete und belastbare Verfahren entwickelt (TEEB 2010), die je nach Fragestellung auf unterschiedliche Methoden zurückgreifen.
So ist es naheliegend, die Leistung des Wasserrückhalts anhand der Schadenskosten zu ermitteln, dass heisst bei einem Hochwasserereignis daran zu messen, welche Schäden und damit volkswirtschaftlichen Kosten durch Renaturierungsmassnahmen vermieden werden können. Beispielsweise betrugen die versicherten Schäden der Hochwasserereignisse in den Jahren 2002 und 2013 in den deutschen Einzugsgebieten von Donau und Elbe zusammen mehr als 21 Mrd. EUR (Kreibisch & Müller 2005; Ellenrieder & Maier 2014). Diese hätten durch mehr Überschwemmungsfläche in angrenzenden Auen zumindest reduziert werden können – der Umfang dieser Reduzierung hätte dem Nutzen von Überschwemmungsflächen entsprochen. Eine konkrete Berechnung der Hochwasserschutzwirkung wurde für die Renaturierung von 35 000 Hektar Überschwemmungsfläche entlang der Elbe vorgenommen und führte dort rechnerisch zu vermiedenen Schadenskosten in Höhe von 177 Millionen EUR in einem Zeitraum von 90 Jahren (Grossmann et al. 2010).
Ähnlich kann die Klimaschutzleistung moorreicher Flussniederungen ermittelt werden, indem die Schadenskosten durch Klimafolgeschäden oder die politisch festgelegten CO2-Preise, wie die in der Schweiz erhobene CO2-Energieabgabe, herangezogen werden. Entwässerte moorreiche Auenlandschaften, in denen die Zersetzung des Torfes zur Freisetzung von Kohlenstoff führt, können wieder vernässt werden. Dies hat eine Reduzierung von Treibhausgasemissionen im Umfang von mindestens 25 Tonnen CO2 je Hektar und Jahr zur Folge (nach Joosten et al. 2016). Verrechnet mit den in der Schweiz erhobenen CO2-Preisen von 96 CHF pro Tonne, ergibt sich ein Nutzen von mindestens 2400 CHF je Hektar und Jahr. Für einzelne Wiedervernässungsprojekte, die in der Regel mehrere hundert Hektar umfassen, lässt sich daraus jeweils ein jährlicher Klimaschutz-Nutzen in Millionenhöhe ermitteln.
Geht es um die Wasserqualität, die durch die Filterfunktion von Auen und den Nährstoffrückhalt aufgrund erhöhter Selbstreinigung in naturnahen Gewässern verbessert werden kann, kommt eine andere Herangehensweise für die Nutzenbewertung zum Tragen: die sogenannte Ersatzkostemethode. Denn müssten ohne natürliche Funktionen die überschüssigen Nährstoffe wie Nitrate oder Phosphate bei der Trinkwassergewinnung technisch eliminiert werden, hätte dies erhebliche Aufbereitungskosten zur Folge. Alternativ und gegebenenfalls als kostengünstigere Massnahmen zur Vermeidung von Nährstoffeinträgen könnten auch Ausgleichszahlungen an die Landwirte erfolgen, die ihre Düngung reduzieren und damit zum Erhalt der Wasserqualität beitragen. Diese Ersatzkosten können als Wert der Ökosystemleistung heran - gezogen werden. Beispielhaft wurde dies für die Schaffung einer zusätzlichen Überschwemmungsfläche an der Elbe im Umfang von 15 000 Hektar berechnet und ergab einen jährlichen Nutzen von 8,25 Mio. EUR beziehungsweise 550 EUR pro Hektar (Dehnhardt 2002).
Dass renaturierte Gewässer oder Auenlandschaften, die der Naturerfahrung und Umweltbildung oder der Erholung dienen, der Gesellschaft einen Nutzen bringen, liegt auf der Hand. Doch wie kann dieser Nutzen bemessen werden? Auch hier greift die Umweltökonomie auf eine bewährte Methode zurück, die der Zahlungsbereitschaftsanalyse. Indem Menschen nach ihrer Bereitschaft, für eine bestimmte Verbesserung der Umweltsituation einen persönlichen Beitrag zu leisten, befragt werden, kann der Nutzen eines Vorhabens hochgerechnet werden. So ermittelte eine Studie in der Schweiz zum Mehrwert naturnaher Wasserläufe in vier unterschiedlichen Flussgebieten einen Nutzen zwischen 3,5 und 21 Mio. CHF für den Zeitraum von zehn Jahren (Arnold et al. 2009). Dabei wirkte sich die Ermöglichung der Nutzung zu Erholungszwecken, zum Beispiel durch Uferwege und Zugang zum Wasser, in hohem Masse positiv auf die Zahlungsbereitschaft aus. Insbesondere bei der Erholungsleistung zeigt sich neben dem gesellschaftlichen Nutzen ganz deutlich, dass auch positive regionalwirtschaftliche Effekte aufgrund der touristischen Attraktivität naturnaher Flusslandschaften erzielt werden können. Diese ergeben sich aus den Umsätzen touristischer Anbieter sowie den damit verbundenen Beschäftigungswirkungen.
Bei der Biologischen Vielfalt, die es unter anderem durch Gewässer- und Auenschutz zu erhalten gilt, kann mittlerweile von einem gesellschaftskonformen Ziel ausgegangen werden. Die vielen warnenden Meldungen zur Bedrohung der Arten und Lebensraumvielfalt haben die Gesellschaft ein wenig aufgeweckt. Dennoch ist es auch bei dieser Thematik hilfreich, den aus der biologischen Vielfalt resultierenden gesellschaftlichen Nutzen zu konkretisieren. Wie für die Erholungsleistung kann auch hier mit der Zahlungsbereitschaftsanalyse gearbeitet werden. Aus einer entsprechenden Studie für ein Auenschutzprogramm in Deutschland wurde dafür ein Wert von 1,2 Mrd. EUR pro Jahr ermittelt (Meyerhoff et al. 2012). Dieser Wert übersteigt den für das Auenschutzprogramm berechneten jährlichen Finanzbedarf in Höhe von 65 Mio. EUR (Wüstemann et al. 2014) um ein Vielfaches.
Investitionen in Gewässer- und Auenrenaturierungen lohnen
Die angeführten Beispiele sind sicherlich im Detail nicht immer ganz aktuell oder können je nach Fragestellung in ihren Ergebnissen in die eine oder andere Richtung abweichen. Dennoch geht aus ihnen die grundlegend bedeutende Dimension hervor, die dem gesellschaftlichen Nutzen der Ökosystemleistungen naturnaher Gewässer und Auen zuzuordnen ist. Und diese Dimension rechtfertigt nicht nur den Einsatz öffentlicher Gelder für Gewässer- und Auenrenaturierungen, sondern auch die Bevorzugung naturnaher Varianten bei der Abwägung unterschiedlicher Planungsalternativen.
Literatur
- Arnold, M., Schwarzwälder, B., Zbinden, M., Beer-Toth, K., Baumgart, K. (2009): Mehrwert naturnaher Wasserläufe. Bundesamt für Umwelt (BAFU), Bern, 124 S.
- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) & Bundesamt für Naturschutz (BfN) (2009): Auenzustandsbericht – Flussauen in Deutschland. Berlin und Bonn, 36 S.
- Dehnhardt, A. (2002): Der ökonomische Wert der Elbauen als Nährstoffsenke: Die indirekte Bewertung ökologischer Leistungen. In: Dehnhardt, A. & Meyerhoff, J. (Hrsg.): Nachhaltige Entwicklung der Stromlandschaft Elbe – Nutzen und Kosten der Wieder gewinnung und Renaturierung von Überschwemmungsauen: 185–218
- Ellenrieder, T. & Maier, A. (2014): Hochwasser in Mitteleuropa. In: Topics Geo. Naturkatastrophen 2013. Münchener Rückversicherungs- Gesellschaft, München: 16–23.
- Grossmann, M., Hartje, V. & Meyerhoff, J. (2010): Ökonomische Bewertung naturverträglicher Hochwasservorsorge an der Elbe. Naturschutz und Biologische Vielfalt 89. Landwirtschaftsverlag, Münster, 126 S.
- Joosten, H. et al. (2016): The role of peatlands in climate regulation. In (Bonn, A. et al., ed): Peatland restoration and ecosystem services: Science, policy and practice: 63–76.
- Kreibisch, H. & Müller, M. (2005): Private Vorsorgemassnahmen können Hochwasserschäden reduzieren. Schadenprisma: Zeitschrift für Schadenverhütung und Schadenforschung der öffentlichen Versicherer 35 (1): 4–11.
- Meyerhoff, J., Angeli, D. & Hartje, V. (2012): Valuing the benefits of implementing a national strategy on biological diversity – the case of Germany. Environmental Science and Policy 23: 109–119.
- Schäfer, A. & Kowatsch, A. (2015): Gewässer und Auen, Nutzen für die Gesellschaft. Broschüre des Bundesamtes für Naturschutz (BfN), Bonn, 58 S.
- TEEB (2010): The Economics of Ecosystems and Biodiversity. Ecological and Economic Foundations. Earthscan, London, 410 S.
- Wüstemann, H., Meyerhoff, J., Rühs, M., Schäfer, A. & Hartje, V. (2014): Financial costs and benefits of a program of measures to implement a national strategy on biological diversity in Germany. Land Use Policy 36: 307–318.
(Artikel übernommen aus: aqua viva #4/2020 - Autoren: Astrid Kowatsch und Achim Schäfer, Universität Greifswald)